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Kann ein Rollstuhlfahrer noch sprechen?

Was für eine Frage? – Nun bei verschiedenen Gelegenheiten muss ich immer wieder feststellen, dass man als Rollstuhlfahrer wohl kein Gesprächspartner mehr ist! Warum ist das so? Ist es Unsicherheit, falsche Vorstellung oder Scham des Gegenübers?

Ein Beispiel hierzu:
Im letzten Sommer hatte ich eine Einladung zur Vorstellung der neuen Kollektion eines Herstellers hochwertiger Bodenbeläge für den Objektbereich bekommen. Ich fand die Örtlichkeit und das Thema der Veranstaltung interessant und ich hatte Zeit dafür. Nun hatte ich noch eine Kollegin gefragt ob sie mit wolle und nach ihrer Zustimmung hatte ich uns beide unter meinem Büronamen angemeldet. Wie üblich bei solchen Veranstaltungen wird man erst einmal begrüßt, registriert, es werden Namensschilder ausgegeben und man kann sich dann bis zum ersten Vortrag bei einem Getränk die Örtlichkeit ansehen, informieren, etc.

Meine Bekannte wollte nach der Fahrt noch vor dem ersten Vortrag die Toilette aufsuchen und fragte die Bedienung danach. Nun kam es für sie zu einer unerwarteten Reaktion der Bedienung. Die junge Frau wurde sehr unsicher, rot im Gesicht, entschuldigte sich für einen Augenblick und ging weg. Meine Bekannte war überrascht von der Reaktion und sagte lachend zu mir, ob die Frage jetzt so ungewöhnlich war.

Ich konnte mir schon denken was der Grund für die überraschende Reaktion war: die junge Bedienung hatte einfach unterstellt ich könnte nicht selber für mich sprechen und deshalb hat meine Begleitung für mich dies übernommen. Meine Kollegin wollte es nicht glauben! Als Erklärung muss man ergänzen: ich sitze im Rollstuhl und meine Kollegin nicht.

Aber so war es! Nach kurzer Zeit kam die Bedienung in Begleitung ihrer Vorgesetzten zurück und ich wurde höflich und diskret gebeten sie zu begleiten. Worauf hin ich erst einmal klarstellte, dass meine Kollegin den Wunsch geäußert hatte und es doch wohl nicht so schwer sein könnte den Weg zur Damentoilette zu erklären.

Dies ist nur ein Beispiel dafür, dass man als Rollstuhlfahrer bei einem Gespräch nicht angesehen wird, die Antwort auf eine Frage man nicht selber bekommt sondern die Person neben einem und so weiter.
Der Rollstuhl wird nicht als Hilfsmittel angesehen Probleme beim Gehen auszugleichen, sondern ist ein Synonym dafür, dass man behindert oder krank ist und nicht mehr kann … Was nicht mehr kann? Ein Gespräch führen? Eine Antwort auf eine gestellte Frage verstehen? Die Brötchen bezahlen oder den Aufzug bedienen?
An guten Tagen lächele ich und mach mein Ding – an schlechten Tagen weise ich mein Gegenüber darauf hin, dass ich nicht mit den Beinen denke und dass sie mit einem solchen Verhalten in meiner Firma von mir persönlich eine saftige Abmahnung wegen unhöflichem Verhalten der Kundschaft gegenüber bekommen würden. Ob das hilft?
Wie ist eure Erfahrung in ähnlichen Situationen? Wie verhaltet ihr euch bei einer solchen Missachtung? Ich freue mich auf eure Geschichten und Anekdoten.

(ml | August 2015)