rollialltag

die Seite für Aachen
3 flache Steine als Stapel am Strand vor dem Meer im Hintergrund
Allgemein

Barrierefreiheit in der neuen Landesbauordnung 2018

 

Nun ist es so weit! Am 12. Juli hat der Landtag in Düsseldorf den vorgelegten Gesetzesentwurf beschlossen und damit den Weg für die Einführung der neuen Landesbauordnung für NRW zum 01. Januar 2019 freigemacht.

In den letzten Monaten wurde über die Novellierung der Landesbauordnung gestritten. Die neue Landesregierung hatte mit dem Moratorium das Inkrafttreten der von der letzten rot/grünen Regierung verabschiedeten BauO erst einmal verhindert und die Zeit genutzt um eine neue Gesetzesvorlage zu schreiben. Diese Vorlage ist nun verabschiedet und tritt zum 01. Januar 2019 in Kraft.

Schon im Vorfeld waren durch die Ministerin für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung des Landes Nordrhein-Westfalen, Frau Ina Scharrenbach, klare Vorgaben gemacht worden.

Vor dem Hintergrund der UN-Behindertenrechtskonvention und der allgemeinen Diskussion in der Öffentlichkeit zu den Themen: demographische Entwicklung und Barrierefreiheit waren die politischen Ziele eindeutig – das barrierefreie Bauen sollte nach Aussagen der Ministerin zum Standard werden (siehe hierzu auch den Beitrag vom Dezember 2017: „4.800 zu 147 – fair?„; aber die alte „R-Quote“ sollte gestrichen werden.

Darüber hinaus sollte die neue Landesbauordnung der Musterbauordnung (MBO) der Länder angeglichen werden und dazu beitragen, dass Genehmigungsverfahren beschleunigt werden.

Hier nun Veränderungen im Hinblick auf barrierefreies Bauen im Einzelnen:

§2 – Begriffe

Im Absatz 10 wird erstmalig in der Landesbauordnung der Begriff Barrierefreiheit definiert: „Barrierefrei sind bauliche Anlagen, soweit sie für alle Menschen, insbesondere für Menschen mit Behinderungen, in der allgemein üblichen Weise, ohne besondere Erschwernis und grundsätzlich ohne fremde Hilfe auffindbar, zugänglich und nutzbar sind.“

Diese umfassende Definition betrifft alle Menschen mit / ohne körperliche oder geistige Einschränkung und zielt ganz klar auf die Ermöglichung einer selbstständigen Lebensführung ab. Vergleichbar zur Definition im BGG, jedoch hier auf bauliche Anlagen beschränkt.

Unterstützend hierzu soll noch in diesem Jahr die DIN 18 040 * in die Liste der technischen Baubestimmungen aufgenommen werden. Offen ist hier noch der Umfang. Ob alle drei Teile der DIN vollständig aufgenommen werden, wird sich noch zeigen.

§47 – Wohnungen

Im Absatz 4 wird eindeutig die Notwendigkeit barrierefrei erreichbarer Abstellflächen für Kinderwagen und Mobilitätshilfen gefordert: „In Gebäuden der Gebäudeklasse 3 bis 5 mit Wohnungen sind leicht und barrierefrei erreichbare Abstellflächen für Kinderwagen und Mobilitätshilfen, sowie für jede Wohnung eine ausreichend große Abstellfläche herzustellen.“

Mobilitätshilfen sind danach z.B. Rollatoren und Rollstühle,  E-Scooter sind hier nicht erfasst. Mit den neu eingeführten Gebäudeklassen, hier Klasse 3 bis 5, wird der allgemeine Geschosswohnungsbau bis zum Hochhaus erfasst.  Das freistehende Einfamilienhaus und das Doppel- und Reihenhaus mit bis zu zwei Nutzungseinheiten fällt in der Regel in die Gebäudeklassen 1 bzw. 2.

§49 – Barrierefreies Bauen

Hier wird ein eigener Paragraph mit dem Namen „barrierefreies Bauen“ eingeführt. Dadurch wird die Bedeutung, die das barrierefreie Bauen in Zukunft haben soll, schon hervorgehoben. In alten Versionen der Landesbauordnung hieß es z.B. nur „barrierefrei zugängliche öffentliche Gebäude“ (LBauO 2000) oder „bauliche Maßnahme für besondere Personengruppen“ (LBauO 1984).

Absatz 1: „In Gebäuden der Gebäudeklassen 3 bis 5 mit Wohnungen müssen die Wohnungen barrierefrei und eingeschränkt mit dem Rollstuhl nutzbar sein.“ Wie schon weiter oben angeführt, wird mit den Gebäudeklassen 3 bis 5 der allgemeine Geschosswohnungsbau erfasst. Dies bedeutet eine große und weitreichende Verbesserung, denn nun sind alle Wohnungen, wenn diese nicht im Einfamilienhaus (freistehend in der Gebäudeklasse 1 oder als Reihen- und Doppelhaus in der Gebäudeklasse 2) sind, erfasst. Allerdings ist die Vorgabe der eingeschränkten Nutzbarkeit für Rollstuhlfahrer*innen nicht eindeutig deffiniert. Hier muss auf die Regelung der DIN 18040 zurück gegriffen werden.

Danach wird in der DIN 18040 unterschieden zwischen barrierefrei (und eingeschränkt für Rollstuhlfahrer) nutzbar, und barrierefrei und uneingeschränkt mit dem Rollstuhl nutzbar („R-Standard“).

Barrierefrei nutzbar im Sinne der DIN stellt Mindestabmessungen für Türdurchgänge, Bewegungs- und Rangierflächen auf die Benutzung von Gehhilfen wie Rollatoren ab und eingeschränkt auch für Rollstuhlnutzer*innen. Verkürzt kann der Bewegungsraum mit 120 cm beschrieben werden. Darüber hinaus gehen die Vorgaben uneingeschränkt mit dem Rollstuhl nutzbar („R-Standard“). Hier muss von einem Bewegungsraum von 150 cm ausgegangen werden.

Die zwei Standards „barrierefrei und eingeschränkt für Rollstuhlfahrer*innen nutzbar“ und „uneingeschränkt mit dem Rollstuhl nutzbar – R-Standard“ unterscheiden sich besonders hinsichtlich des Platzbedarfs:
Anforderungen für den R-Standard sind in der Norm DIN 18040-2 gesondert mit einem „R“ gekennzeichnet und erfüllen automatisch alle Anforderungen der Barrierefreiheit, gehen aber, was den Platzbedarf von Bewegungsflächen, die Nutzbarkeit von Bedienelementen und die Ausstattung von Sanitärräumen betrifft, darüber hinaus.

So wird beispielsweise in der DIN 18040-2 im Rahmen des „R-Standards“ ein Rollstuhlabstellplatz vor oder in der Wohnung in einer Mindestgröße von 150 cm x 180 cm mit einer davor angeordneten Bewegungsfläche in der gleichen Größe gefordert. Ein elektrischer Anschluss zur Batterieaufladung von Elektro-Rollstühlen muss in diesem Bereich ebenfalls vorhanden sein.

Das Bad muss rollstuhlgerecht sein: Vor den Sanitärobjekten ist jeweils eine Bewegungsfläche von 150 cm x 150 cm anzuordnen. Eine Überlagerung der Bewegungsflächen ist möglich. Das Waschbecken muss unterfahrbar sein. Weiterhin sind beidseitig des WC Stützklappgriffe erforderlich und müssen auch im Duschbereich nachgerüstet werden können. Für WC-Becken und Waschtisch gelten besondere Anforderungen in Bezug auf die Anordnung und Abmessungen.

Die Bedienelemente (Lichtschalter, Türdrücker, etc.) sind auf 85 cm Höhe anzuordnen. Die Standardhöhe ist sonst 105 cm über Fußboden.

Damit ist der weitreichende R-Standard und wie auch schon die R-Quote nicht in der Landesbauordnung geregelt und bleibt der individuellen Regelung im Bedarfsfall überlassen.

Absatz 2: „Bauliche Anlagen, die öffentlich zugänglich sind, müssen im erforderlichen Umfang barrierefrei sein. Öffentlich zugänglich sind bauliche Anlagen, wenn und soweit sie nach ihrem Zweck im Zeitraum ihrer Nutzung von im Vorhinein nicht bestimmbaren Personen aufgesucht werden können. Wohngebäude sind nicht öffentlich zugänglich im Sinne dieses Absatzes.“

Hier ist noch einmal klarzustellen, unter öffentlich zugängliche bauliche Anlagen sind nach diesem Absatz zum Beispiel:

  • Verkaufsstätten
  • Restaurants, Cafés und Gaststätten
  • Theater, Kino, Konzerträume und allgemeine Veranstaltungsstätten
  • Einrichtungen des Gesundheitswesens wie Arzt- und Therrapiepraxen, Krankenhäuser
  • Bildungseinrichtungen wie Schulen, Hochschulen und Universitäten, sowie Kindertagesstätten
  • Gebäude der öffentlichen Verwaltung
  • Gerichts- und Parlamentsgebäude
  • etc., also alle bauliche Einrichtungen des öffentlichen, politischen und kulturellen Lebens zu verstehen.

Diese Liste hat keinen Anspruch auf Vollständigkeit, sondern dient nur einer groben Orientierung. Der erforderliche Umfang ergibt sich aus §2, Absatz 10, wonach eine bauliche Anlage dann als barrierefei gilt, soweit sie für alle Menschen, insbesondere für Menschen mit Behinderungen, in der allgemein üblichen Weise, ohne besondere Erschwernis und grundsätzlich ohne fremde Hilfe auffindbar, zugänglich und nutzbar sind.

Absatz 3: „Die Absätze 1 und 2 gelten jeweils nicht, soweit die Anforderungen wegen schwieriger Geländeverhältnisse oder wegen ungünstiger vorhandener Bebauung nur mit einem unverhältnismäßigen Mehraufwand erfüllt werden können.“

Im Absatz 3 ist nun eine weitgehende Einschränkung für die Umsetzung der Barrierefreiheit für das Bauen im Bestand und bei schwierigen Geländeverhältnissen als Ausnahme eingeführt. Hier wünscht man sich eine weitere Konkretisierung der Formulierung: „unverhältnismäßigen Mehraufwand“.

Im engen Zusammenhang hierzu steht die abschließende Formulierung im

§59 – Bestehende Anlagen

In Absatz 1 geht es um eine nachträgliche Anpassung bestehender Anlagen an die neuen Vorschriften, wenn es für die Abwehr von Gefahren für Leben und Gesundheit erforderlich ist und im Absatz 2 um wesentliche Änderung von bestehenden Anlagen, dass auch weitere Anpassungen an die gültige Gesetzeslage verlangt werden kann.

In diesem Zusammenhang sind angemessene Regelungen zur Barrierefreiheit zu treffen.

§50 – Sonderbauten

Eine umfangreiche Liste erfasst die sogenannten kleinen bzw. großen Sonderbauten, an die zusätzlichen Anforderungen gestellt oder aber auch Erleichterungen in einzelnen Fällen in Aussicht gestellt werden können, wenn die allgemein formulierten Anforderungen nicht anzuwenden sind. Diese Anforderungen und Erleichertungen können unter Punkt 16 die barrierefreie Nutzbarkeit betreffen.

Weitergehende Regelungen, die die Barrierefreiheit beeinflussen, finden sich in den folgenden Paragraphen:

§8 – Nicht überbaute Flächen der bebauten Grundstücke, Kinderspielplätze, Absatz 2: der Spielplatz muss barrierefrei erreichbar sein.

§39 – Aufzüge, Absatz 4 wird beschrieben, dass schon Gebäude mit mehr als 3 oberirdischen Geschossen mit Aufzügen in ausreichender Zahl auszuführen sind. Bisher lautete die Forderung ab 5 Geschosse oberhalb der Geländeoberfläche. Die Folge ist, dass deutlich mehr Gebäude mit einem Aufzug ausgestattet werden müssen. Ein Aufzug davon muss von den öffentlichen Verkehrsflächen und von allen Wohnungen innerhalb dieses Gebäudes erreichbar sein. Bei Gebäuden mit mehr als fünf oberirdischen Geschossen werden weitere Forderungen gestellt.  Bei nachträglichen Aufstockungen können Erleichterungen eingeräumt werden.

§6 – Abstandsflächen

Hier ist die nachträgliche Errichtung von Aufzügen durch eine Erleichterung bei der Berechnung der Abstandflächen vereinfacht worden.

Gerade durch die Regelungen im §6  und §39 wird die Zahl der Wohnungen, die mit einem Aufzug erreicht werden, erhöht. Darüber können sich alle Menschen mit einer Mobilitätseinschränkung freuen.

Über die hier explizit angesprochenen Änderungen gibt es noch eine Vielzahl von kleineren und größeren Änderungen im Zusammenhang mit der Novellierung der Landesbauordnung. Darauf möchte ich hier im Weiteren nicht eingehen.

Jedoch ist in Zusammenhang mit den aufgeführten Änderungen in der neuen Landesbauordnung auch die Bauprüfverordnung (BauPrüfVO) um den Punkt ergänzt worden, dass die Barrierefreiheit, soweit diese gefordert wird, auch durch die Bauordnung im Rahmen des Genehmigungsverfahrens zu prüfen ist. Hier ist der Begriff des „Barrierefreiheitskonzeptes“ eingeführt worden. Darüber hinaus sollen weitere Musterplanzeichen eingeführt werden, die die Darstellung der Barrierefreiheit in der Genehmigungsvorlage erleichtern sollen.

Im Großen und Ganzen kann die Novellierung dazu beitragen, besonders die Anzahl der barrierefreien, altengerechten Wohnungen mit den Jahren zu erhöhen. Hier komme ich jedoch nun zu den Punkten, die ich in der neuen Landesbauordnung vermisse.

Leider wurde die „R-Quote“ gestrichen. Also ein kleiner Anteil an den neu zu errichtenden Wohnungen wirklich vollumfänglich für die Nutzung mit einem Rollstuhl auszulegen. Dadurch würde über einen langen Zeitraum ein Anteil an solche Wohnungen geschaffen werden. Eine freiwillige Erhöhung der Ausstattung wird es kaum geben, ein fallbezogener Umbau wird die Kosten bei einem schlechten Ergebnis enorm erhöhen.

Ein weiterer Punkt ist der „Sachverständigen für das barrierefreie Bauen“. Durch die Novellierung der Landesbauordnung wird der Anspruch an das barrierefreie Bauen deutlich erhöht, das vorzulegenden „Barrierefreiheitskonzept“ erfordert eine umfangreiche und vertiefte Kenntnis in diesem Planungsbereich. Damit wird der Sachverständige schon gefordert ohne ihn offiziell einzuführen. Aber, die nächste Novellierung kommt bestimmt.

(August 2018 | ml)