Die Regulierung des Bauens und die Aufsicht darüber ist in Deutschland Ländersache; d.h. die Bundesländer haben hierzu die Gesetzgebungskompetenz. So wurde in den letzten Jahren an einer Novellierung der Landesbauordnung des Landes NRW gearbeitet. Vor dem Hintergrund der UN-Behindertenrechtskonvention und der allgemeinen Diskussion in der Öffentlichkeit zu den Themen: Inklusion, demographische Entwicklung und Barrierefreiheit waren die politischen Vorgaben eindeutig – es sollte eine moderne Landesbauordnung mit deutlichen Verbesserungen des barrierefreien Bauens entstehen.
Es wurden die unterschiedlichen Aspekte beleuchtet und in Gesetzestexte verfasst, Referentenentwürfe wurden erarbeitet den Verbänden zur Stellungnahme vorgelegt, es wurde geändert und gestrichen, es wurde diskutiert und gestritten.
Am 14. Dezember 2016 wurde die neue Landesbauordnung durch den Landtag NRW beschlossen. Nach Veröffentlichung der neuen Fassung sollte die LBauO zum 28.12.2017 in Kraft treten.
Neben den vielen kleinen und großen Änderungen, die eigentlich nur für Bauherren, Investoren und Planer von Interesse sind, gibt es ein paar Punkte, die besonders das barrierefreie Bauen und damit die Menschen mit Behinderung betreffen. Ein Schwerpunkt war das schaffen von Rahmenbedingungen, die geeignet sind, den schon vorhandenen Mangel an barrierefreien Wohnraum zu verringern.
Folgend werden die Änderungen, die das barrierefreie Bauen betreffen, kurz angerissen und erläutert (zum Gesetzestext landesbauordnung-15-12-2016.pdf):
§2 – Begriffe
Im Absatz 11 wird erstmalig in der Landesbauordnung der Begriff Barrierefreiheit definiert: „Barrierefrei sind bauliche Anlagen, soweit sie für alle Menschen ihrem Zweck entsprechend in der allgemein üblichen Weise, ohne besondere Erschwernis und grundsätzlich ohne fremde Hilfe auffindbar, zugänglich und nutzbar sind.“
Diese umfassende Definition betrifft alle Menschen mit / ohne körperliche oder geistige Einschränkung und zielt ganz klar auf die Ermöglichung einer eigenständige, selbstständige Lebensführung ab. Vergleichbar zur Definition im BGG, jedoch auf das Bauen beschränkt.
§6 – Abstandsflächen
Hier ist die nachträgliche Errichtung von Aufzügen durch eine Erleichterung bei der Berechnung der Abstandflächen vereinfacht worden.
§37 – Aufzüge
Im Absatz 11 wird beschrieben, dass schon Gebäude mit mehr als 3 oberirdischen Geschossen mit Aufzügen auszuführen sind. Bisher lautete die Forderung ab 5 Geschosse oberhalb der Geländeoberfläche. Die Folge ist, dass deutlich mehr Gebäude mit einem Aufzug ausgestattet werden müssen. Darüber können sich alle Menschen mit einer Mobilitätseinschränkung freuen.
§48 – Wohnungen
Eine deutliche Verbesserung für barrierefreie Wohnungen bringt der Absatz 2. Hier wird erstmalig die sogenannte R-Quote eingeführt: „In Gebäuden mit mehr als zwei Wohnungen müssen die Wohnungen eines Geschosses barrierefrei, aber nicht uneingeschränkt mit dem Rollstuhl nutzbar sein. In Gebäuden, die gemäß § 37, Absatz 7, Satz 1 Aufzüge haben müssen (mit mehr als 3 Geschosse, der Verfasser), müssen alle Wohnungen barrierefrei, aber nicht uneingeschränkt mit dem Rollstuhl nutzbar sein. … …müssen in Gebäuden mit mehr als acht Wohnungen eine, in Gebäuden mit mehr als 15 Wohnungen zwei uneingeschränkt mit dem Rollstuhl nutzbar sein. …“ Der Anteil der barrierefreien Wohnungen und hier erstmalig die uneingeschränkt mit einem Rollstuhl nutzbaren Wohnungen (R-Quote) wird deutlich erhöht. Unter dem Gesichtspunkt der demographischen Entwicklung ist dies ein wichtiger Schritt. Schon jetzt fehlen nach Angaben der Bundesregierung in NRW ca. 250.000 „barrierefreie Wohnungen“ für mobilitätseingeschränkte Seniorinnen und Senioren.
§54 – Barrierefreiheit öffentlich zugänglicher baulicher Anlagen
Bauliche Anlagen, die öffentlich zugänglich sind, und bauliche Anlagen für alte Menschen, Personen mit Kleinkindern und für Menschen mit Behinderungen müssen im erforderlichen Umfang barrierefrei sein. Öffentlich zugänglich sind bauliche Anlagen, wenn und soweit sie nach ihrem Zweck im Zeitraum ihrer Nutzung von im Vorhinein nicht bestimmbaren Personen aufgesucht werden können. Wohngebäude sind nicht öffentlich zugänglich im Sinne dieser Vorschrift.
Die Barrierefreiheit von öffentlich zugänglichen Gebäuden wurde erstmalig in der Landesbauordnung von 1984 formuliert. Seit dem ist schon viel Wasser den Rhein herunter geflossen, umgangen wurde diese Vorschrift schon immer, gerne und oft! Zwischenzeitlich wurde in verschiedenen Ausgaben der Landesbauordnungen beispielhaft erläutert, welche Gebäude darunter zu verstehen sind. Denn die Meinung, dass hier ja nur Behörden gemeint sein können, trifft nicht zu. Arztpraxen, Geschäfte, Gaststätten, Restaurants, Theater, Kinos, Konzerträume, etc., also alle Gebäude des öffentlichen Lebens, die von einem vorher nicht bestimmbaren Personenkreis aufgesucht werden. Also jetzt hat man die Beispiele gestrichen und sehr unbestimmt formuliert „im erforderlichen Umfang“. Dies hat wieder sämtlichen Vermeidungsstrategien Tür- und Tor geöffnet. Hier fehlt ein klarer Bezug auf die Definition der Barrierefreiheit.
Zum Schluss noch zwei Punkte, die sich bisher noch gar nicht in der Landesbauordnung niedergeschlagen haben. Der erste Punkt wäre, dass die DIN 18040, Teil 1 bis 3 (barrierefreies Bauen bei öffentlichen Gebäuden, Wohnungen und öffentliche Verkehrs- und Freiräume) in die Liste der Technischen Baubestimmungen eingeführt wird (wie schon in anderen Bundesländer). Dies würde bedeutet, dass die DIN bei allen Bauvorhaben im gebotenen Umfang zu beachten ist und keiner mehr selber definieren kann, wie man barrierefrei baut.
Der zweite Punkt steht damit im unmittelbaren Zusammenhang. Es wurde geplant und diskutiert einen „Sachverständigen für barrierefreies Bauen“ einzuführen. Dies ist ab einer bestimmten Gebäudeklasse unbedingt nötig! In diesem Zusammenhang sind nicht nur die Auffindbarkeit, die Zugänglichkeit und die Nutzung zu betrachten, sondern ebenfalls im Zusammenhang mit dem Brandschutzkonzept der Personenschutz und die Fluchtmöglichkeiten in einem Brandfall.
Leider hat der Gesetzgeber diesen Punkt nach heftigen Diskussionen zwischen den verschiedenen Interessensvertretern nicht aufgenommen. Hier hat sich unter anderem die Architektenkammer durchgesetzt, die die Meinung vertritt, dass Architekten das barrierefreien Bauen vollumfänglich in allen Anforderungen hervorragend umsetzen können. Nein, dass können sie nicht und haben es auch nicht gelernt. Weder an der Hochschule noch in Ihrem normalen Berufsalltag.
Nun, warum wird hier auf der Internetseite die Novellierung der Landesbauordnung so ausführlich diskutiert. Wie in der Einleitung erläutert, sollte durch den Schritt die neue Landesbauordnung an die Anforderungen einer älter werden Gesellschaft mit wachsenden Anforderungen an das barrierefreie Bauen und besonders im Hinblick auf die UN-Behindertenrechtskonvention angepasst werden. Dies ist ein wichtiger Schritt und ist sicher in einigen Zügen gelungen, andere Schritte lassen noch auf sich warten und wurden leider noch nicht gemacht, z.B. der Sachverständiger für barrierefreies Bauen.
Aber was passiert jetzt: erarbeitet und verabschiedet wurde die Novellierung unter der Landesregierung von SPD, Bündnis 90/Die Grünen der 16. Legislaturperiode und sollte Ende 2017 in Kraft treten. Mit der letzten Wahl zum neuen Landtag (14.05.2017) kam es zu einem Wechsel und die Koalition von CDU und FDP unter dem Ministerpräsidenten Armin Laschet hat vorgeschlagen, das Inkrafttreten der neuen Landesbauordnung um 12 Monate zu verschieben.
Die Landesregierung will sich über das sogenannte Moratorium noch einmal intensiv mit der Landesbauordnung auseinandersetzen und baukostensteigernde Regulierungen und Vorgaben auf den Prüfstand stellen – kurz gesagt: es ist davon auszugehen, dass alle Verbesserungen im Bereich des barrierefreien Bauens unter dem Gesichtspunkt der Wirtschaftlichkeit sehr verwässert oder gleich gestrichen werden. Nun, wenn man bedenkt, dass bereits jetzt viele barrierefreie Wohnungen fehlen und die bauliche Umwelt noch große Defizite im Bereich der Barrierefreiheit hat, kann man nach meiner Meinung nicht schnell genug mit den Verbesserungen beginnen. Und dies gerade unter dem Geichtspunkt des Zeitaufwandes, der beim Bauen nötig ist. Eine Verzögerung kann nach bereits vielen Jahren Diskussion zur neuen Landesbauordnung nicht akzeptiert werden – weitere Verbesserungen sind willkommen!
(September 2017 | ml)